OGP Afghanistan ruft um Hilfe

Ein Jahr „Last Exit Kabul“ – Hilfe benötigt – Sicherheitskonzepte erforderlich

Die Open Government Partnership befindet sich derzeit im Entwicklungsprozess ihrer kommenden 5-Jahres-Strategie 2023-2028. Ein Thema für den Strategieprozess könnte u. sollte die Verbesserung der Sicherheit von Akteuren des Open Governments und im Rahmen der Open Government Partnership sein, wenn teilnehmende Länder Regierungswechsel vollziehen, die potentielle Risiken für die Menschenrechte der im Bereich Open Government beschäftigten Akteure mit sich ziehen. Naturgegeben sind autoritäre Regierungen i.d.R. gegen Open Government und damit verbundenen Reformen.

Nun, da sich der abrupte Rückzug des westlichen Bündnisses aus Afghanistan von Ende Juli / Anfang August 2021 derzeit jährt und weltweit beobachtet werden konnte, welche Opferbereitschaft Nationen aus diesem Bündnis zur Unterstützung der Ukraine zeigen, machen die in Afghanistan zurückgelassenen Reformer aus ehemaliger Regierung und Zivilgesellschaft nochmal mehr auf ihre Situation aufmerksam.

So erreichte uns in den letzten Tagen Hilfegesuche: ein Offener Brief der zivilgesellschaftlichen Mitglieder der Generalversammlung der Afghanistan Open Government Partnership, adressiert auch an die (78) Regierungen in der Open Government Partnership sowie NGOs, der auch auf ein Schreiben von Dr. Abdul Wadood Afghan, Vize der Afghanischen Open Government Partnership, vom Juli Bezug nimmt. Einige Tage zuvor erreichte uns zudem ein Schreiben von einem Mitarbeiter des Point of Contact beim Leiter von OGP Afghanistan im Büro des einstigen Präsidenten, das „Assistance to OGP staff of Afghanistan!“ titelt.

Afghanistan und Deutschland traten 2016 im Rahmen des OGP Global Summit in Paris gemeinsam der Open Government Partnership bei.

Helen Turek, Regional Lead Europe bei der Open Government Partnership unterstreicht auf unsere Anfrage zur Causa die Dramatik der Situation:
We are aware of the challenges and threats they’ve been facing since the Taliban took over, and have tried to connect them to resettlement efforts by OGP members but don’t have any viable options for now. To say that the situation is tragic would not be enough. If there is any information on resettlement programs in Germany or ongoing efforts to that end, that you can connect them to, that would be extremely welcome.

Um auf diese außergewöhnliche Herausforderung zu reagieren, hatte die OGP damals 2021 zunächst über formelle Kanäle versucht, Mitglieder des OGP-Afghanistan-Forums zu evakuieren, mit der dringenden Bitte um Hilfe an Regierungen wie die der USA, Großbritanniens, Kanadas, Frankreichs und Deutschlands. Leider wurde diesen Bitten um Unterstützung nicht entsprochen, da sich die westlichen Regierungen der Evakuierung ihrer eigenen Bürger und Botschaftsmitarbeiter widmeten und nicht der afghanischen Zivilgesellschaft und ihre Regierungspartner (dazu kam die deutsche Luftbrücke vom 16. bis 26. August 2021 erst zwei Wochen später als die Evakuierung, die durch die USA eingeleitet wurde). Für die OGP gab es keinen Präzedenzfall für den Umgang mit dieser beispiellosen Katastrophe. Der Governance-Rahmen der OGP bietet mit dem Rapid Response Protocol eine Anleitung für Situationen, in denen der zivilgesellschaftliche Raum in einem OGP-Land eingeengt oder beseitigt wird; aber wenn OGP-Reformer und -Aktivisten und ihre Familien unmittelbarer Gefahr ausgesetzt sind, gibt es kein Instrument für eine Krisenreaktion.

Dennoch gelang es am 30. August 2021 der OGP-Geschäftsstelle mit einem Agreement mit der Kam Air, 152 Aktivisten und Reformer und ihre Familien (darunter Akteure von Partnerorganisationen wie EITI, OCP) vom Flughafen Mazar aus aus Afghanistan nach Nordmazedonien zu evakuieren, darunter 53 Kinder und ein neugeborener Junge. Diese sind mittlerweile im Gros in Kanada dauerhaft angesiedelt.
Leider konnten nicht alle Akteure berücksichtigt werden, nun werden sie lauter gegen das Vergessen.


Thomas Fischer, früherer Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs u. Mitglied von unseres Netzwerkmitglieds Transparency International e.V. ordnet in dessen aktueller Kolummne die Rechtslage (bei angeworbenen Akteuren) sogar strafrechtlich ein.
Das „Zentrum für Politische Schönheit“ habe deswegen bereits im August 2021 eine Strafanzeige gegen den (ehemaligen) Bundesaußenminister (siehe »Tagesspiegel«, 21.8.2021) gestellt (Das Schicksal dieser Anzeige ist Fischer jedoch unbekannt)

Selbst wenn bei Regierungsübernahme durch autoritäre Regierungen keine unmittelbare Gefahren für die Menschenrechte der Betroffenen herrschen sollten, ist davon auszugehen, dass Open-Government-Akteure insbesondere aus den Behörden keine funktionale Aufgabe unter der neuen Regierung bekommen werden. In der Regel sind Akteure im Bereich Open Government sowohl auf Seiten der Zivilgesellschaft als auch der Regierung exzellent ausgebildete Kräfte mit wertvollen Kompetenzen, für die es kaum klassische und formelle Qualifikationsbiografien gibt.

Außerdem: In etlichen Ländern mit Menschenrechtsreformen in den vergangenen Dekaden folgten nicht zwingend der Aufbau von Institutionen für Menschenrechte oder gar Reformen zu Transparenz und Pressefreiheit. Gerade um die Pressefreiheit des Journalismus als 4. Gewalt und Organ der Willensbildung sowie Multiplikator für zivilgesellschaftliche Aufsichtsaktivitäten aus Open Government ist es selbst in Reform-Gebieten als letzte Konsequenz nicht gut bestellt. Sie sind folglich nicht überzeugend reformiert und gelten imho als labil/fragil im institutionellen Design und Vollzug und somit als nicht hinreichend gestärkt bei entsprechendem Regierungswechsel.

In Anbetracht der sich derzeit verschiebenden globalen Architekturen muss man damit rechnen, dass die Belastbarkeit dieser Reformen zu gegebener Zeit in manchen (OGP-)Ländern um so mehr auf dem Prüfstand steht. Dazu kommt die Situation hybrider Strukturen in manchen Ländern, in denen de facto paramilitärische Akteure ihre eigene Staatlichkeit aufbauen, wie zB in Mexiko durch Kartelle der OK oder in Ost- sowie West-Afrika islamistische Organisationen.

Sicherheitskonzepte im OGP-Netzwerk verbessern

Die Jährung des Kabul-Exit und der aktuell drohende Wandel in globalen Architekturen bringen eine Schwäche in der OGP-Governance wieder stärker zu Tage, die das Nervenzentrum von Open Government und der Open Government Partnership berührt: Möglichst belastbare Garantien der Akteure in Zivilgesellschaft und Regierung für die eigene Sicherheit. Denn das Vertrauen in die Sicherheit der Akteure ist Grundlage des Vertrauens insbesondere der Zivilgesellschaft in ihre Regierungspartner, dass diese möglichst frei von Ängsten und Vorbehalten Reformvorhaben in den Regierungen vorantreiben und somit die Risiken und Aufwände der (oft unterfinanzierten) Zivilgesellschaft auf möglichst kontinuierlicher und nachhaltiger Zusammenarbeit mit Regierenden und somit auf fruchtbarem Boden gründen.

Deswegen sollte eine verbesserte Governance und eine Readiness zu oben beschriebenen Szenarien mindestens ein _priorisiertes_ Sujet der neuen OGP-Strategie sein, eher sogar eine Grundsatzfrage weit über den Strategie-Horizont hinaus.

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